Pute statt Schwein - wirklich eine Alternative?

Stand: 09/26/2012
Mediziner warnen vor rotem Fleisch. Berichte darüber, dass der tägliche Verzehr von rotem Fleisch das Krebsrisiko erhöhe, häufen sich. Bei „rotem Fleisch“ handelt es sich um Fleisch von Rind, Lamm oder Schwein. So hat unter anderem eine über 30 Jahre andauernde Studie an der Harvard-Universität belegt, dass Menschen, die täglich rotes Fleisch essen, ein um 13 Prozent höheres Sterberisiko haben. Dem Deutschen Krebsforschungszentrum zufolge stehen rotes Fleisch sowie Wurstprodukte von Rind und Schwein im Verdacht, das Darmkrebsrisiko zu erhöhen. Das liege am hohen Eisengehalt dieser Fleischarten, der ihnen ihre rote Farbe verleiht. Aber auch die Art der Verarbeitung und Zubereitung haben einen Einfluss.
Neue wissenschaftliche Untersuchungen legen die Vermutung nahe, dass gebratenes rotes Fleisch auch den Verlauf von Prostatakrebs negativ beeinflusst.

Diese Erkenntnisse veranlassen immer mehr Menschen zu Geflügel, also zu „weißem Fleisch“, zu greifen. Putenschnitzel, Hähnchenbrustfilet und Geflügelwurstwaren erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Viele Menschen halten Geflügelfleisch nicht nur für lecker, sondern auch für gesund.

Ist weißes Fleisch tatsächlich eine Alternative zu rotem Fleisch? Oder sollten Verbraucher den „goldenen“ Mittelweg suchen?


Inhaltsstoffe

Wissenschaftler haben im Rahmen der EPIC-Studie (European Prospective Investigation Into Cancer And Nutrition) festgestellt, dass bei täglichem Verzehr von 100 Gramm rotem Fleisch das Darmkrebsrisiko um 49 Prozent ansteigt, bei einer Erhöhung des täglichen Wurstverzehrs um 100 Gramm sogar um 70 Prozent. Ein Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Geflügel und einem höheren Erkrankungsrisiko wurde nicht gefunden.
Ein Erklärungsansatz ist, dass in Abhängigkeit vom Eisengehalt so genannte N-Nitrosoverbindungen im Darm gebildet werden, die über weitere Reaktionsfolgen zu Schäden am Erbgut von Zellen führen können. Der Eisengehalt von Hähnchen- und Putenfleisch beträgt rund 60 bis 70 Prozent des Eisengehalts von Schweinefleisch oder Rindfleisch.

Auch die Zubereitung von Fleisch spielt im Hinblick auf das Darmkrebsrisiko eine Rolle. Fleisch, egal ob rot oder weiß, sollte nicht scharf gebraten oder gegrillt werden. Bei sehr hohen Temperaturen können krebserregende heterozyklische aromatische Amine entstehen. Gepökelte Fleischerzeugnisse sollten nicht gegrillt werden. Durch die hohen Temperaturen beim Grillen kann Nitrit aus dem Pökelsalz mit Eiweißen zu krebserregenden Nitrosaminen reagieren. Auch das gilt gleichermaßen für rotes wie für weißes Fleisch.

Auch in Zusammenhang mit Erkrankungen wie Herzkreislauferkrankungen oder Gicht werden bestimmte Inhaltsstoffe von Fleisch wie Cholesterin, Fett und gesättigte Fettsäuren sowie Purine eher kritisch betrachtet. Der Gehalt an diesen Inhaltsstoffen ist bei den Fleischarten vergleichbar, größere Unterschiede gibt es allerdings bei den verschiedenen Teilstücken.

Gerade bei Geflügel erfreuen sich vorgefertigte Erzeugnisse großer Beliebtheit. Vorsicht ist jedoch geboten bei panierten und vorfrittierten Erzeugnissen wie Putenschnitzel oder Nuggets. Sie fallen durch hohe Fettgehalte und Panadenanteil auf.


Geflügelfleischerzeugung

Bei ganzheitlicher Sichtweise der Ernährung fallen bei ständig steigendem Geflügelverzehr etliche kritisch zu betrachtende Faktoren auf.

Nie zuvor wurde in Deutschland so viel Geflügel gemästet. Der Geflügelfleischverbrauch wuchs 2011 nochmals, und zwar pro Einwohner um 200 g auf 18,9 kg.
Der größte Teil des im Handel angebotenen Hähnchen- und Putenfleischs stammt von großen Geflügelproduzenten. Die 50 Millionen Masthähnchen leben häufig in Ställen mit bis zu 30.000 Tieren. Anders kann preiswertes Geflügel nicht erzeugt werden. Um die Ausbreitung von Krankheiten zu vermeiden, geht das kaum ohne den Einsatz von Antibiotika.

Antibiotika

Erstmals gibt es genaue Zahlen zum Einsatz von Antibiotika in der Tiermast in Deutschland, veröffentlicht vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im September 2012 (siehe unten).

In der deutschlandweit ersten Studie über den Einsatz von Antibiotika in der Hähnchenmast in Nordrhein-Westfalen (NRW) stellte das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz im Sommer 2012 fest, dass 92,5 Prozent der Masthähnchen während ihrer Mastdauer Kontakt mit Antibiotika haben. Es werden nicht nur einzelne kranke Tiere behandelt, sondern regelmäßig ganze Tiergruppen oder der gesamte Bestand. In der Hälfte der Fälle geschah dies nur über einen kurzen Zeitraum – ein bis zwei Tage, statt der medizinisch notwendigen drei bis sechs. Das lege den Verdacht nahe, dass die Antibiotika nicht nur als Medikamente, sondern auch zur Unterstützung der Mast eingesetzt werden. Die Tiere sollen möglichst rasch das gewünschte Schlachtgewicht erreichen. Antibiotika als Masthilfsmittel sind seit Jahren verboten.

Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung wird massiv kritisiert. Er begünstigt nach Ansicht von Experten die Entwicklung resistenter Erreger; immer mehr Menschen sprechen daher auf eine Behandlung mit Antibiotika nicht mehr an.

Die Bundesländer fordern einen nationalen Aktionsplan für weniger Antibiotika in der Tiermast, allen voran Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Gefordert werden außerdem eine zentrale Datenbank zur Dokumentation der Antibiotikagaben und eine Änderung des Arzneimittelgesetzes, damit Vertriebswege künftig vollständig nachvollzogen werden können.

Fütterung

Hühner erreichen das gewünschte Schlachtgewicht von ca. 1600 g in vier bis sechs Wochen, Puten müssen innerhalb von fünf Monaten ca. 22 kg auf die Waage bringen.
Dazu ist ein eiweißreiches Futter erforderlich. Diese Futtermittel können – preisgünstig – zurzeit nicht auf deutschen Ackerflächen erzeugt werden. Die Lücke wird vor allem mit Soja geschlossen, das aus den USA, Brasilien und Argentinien stammt. Anbau und Export finden in diesen Ländern häufig nicht im Einklang mit der Umwelt und den Interessen der heimischen Bevölkerung statt.

Hinzu kommt, dass ein Großteil der importierten Sojafuttermittel gentechnisch verändert ist. Nach einer überschaubaren Vorlaufzeit könnte Brasilien knapp 50 % des EU-Bedarfes an Soja in gentechnikfreier Qualität liefern. Weitere zukünftige Lieferquellen gentechnikfreier Ware sind Indien und Osteuropa. Auch beim heimischen Sojaanbau kommen Forschung und Anbau in Gang.

Gentechnikfreie Fütterung ist grundsätzlich möglich, verteuert aber das Endprodukt.

Globale Folgen

Ein vorrangig soziales Problem stellen die Überschüsse aus der Geflügelmast dar. Wir Europäer bevorzugen die edlen Teile wie Putenbrust oder Hähnchenschenkel. Die „Reste“ wie Flügel und Beine kommen zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt, vorzugsweise nach Afrika. Für viele kleine lokale Bauern bedeutet das das Ende ihrer wirtschaftlichen Existenz, denn sie kommen gegen die Billigkonkurrenz aus Europa nicht an.
siehe auch: Hähnchenbrust, Chicken Wings - und wer ist den Rest?

Aktuelle Entwicklungen

Die nordrhein-westfälischen Prüfer stellten auch fest, dass der Antibiotika-Einsatz in Kleinbetrieben geringer war. Dort wird das Geflügel in der Regel langsam und mit Auslauf gemästet. Artgerecht gehaltene Tiere sind robust und weniger krankheitsanfällig. Darum müssen bei guten und tiergerechten Haltungsbedingungen, gleichgültig, ob konventionell oder bio, weniger Antibiotika eingesetzt werden.

Das Marktsegment „ohne Gentechnik“ wächst. Es gibt bereits große Geflügelmäster in Deutschland, die ihre Produkte als „ohne Gentechnik“ ausloben. Einige Qualitätsfleischprogramme setzen auch beim Geflügelfleisch auf Produkte „ohne Gentechnik“. Die „ohne Gentechnik“- Produktion erfolgt entweder durch den Austausch des GV-Sojas durch kennzeichnungsfreie Ware oder durch heimische Eiweißfuttermittel.


Fazit

Gut statt viel! Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, maximal 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche zu essen. Und da ist es zunächst egal, ob von Rind-, Schwein oder Pute.

Denn man sollte zweierlei nicht aus den Augen verlieren.

Fleisch ist eine gute Quelle für Eiweiß, Zink, Selen und verschiedene B-Vitamine. Fleisch ist auch ein guter Eisenlieferant. Eisen ist essentiell vor allem als Bestandteil des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Und Hämeisen wird besonders gut verwertet.
Und zum Zweiten ist Krebs immer ein multifaktorielles Geschehen. Im Rahmen der EPIC-Studie konnte auch gezeigt werden, dass der Fleischverzehr eine geringere Rolle spielt, wenn gleichzeitig ausreichend Fisch und ballaststoffreiche Lebensmittel wie Vollkornbrot, Gemüse und Obst verzehrt werden.

„Gut statt viel“, das ist auch das Credo der rheinland-pfälzischen Ministerin für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten Ulrike Höfken, wenn es um Lebensmittel geht. „Gut statt viel“ gilt besonders beim Einkauf von Fleisch. Wenn es um eine nachhaltig ausgerichtete Ernährungsweise geht, sollte man darauf achten, wo das (Geflügel-)Fleisch herkommt und wie es erzeugt worden ist.
Weniger und dafür regional erzeugtes Fleisch von guter Qualität zu essen, kommt nicht nur der Gesundheit zu gute. Es stärkt die heimische Landwirtschaft und erhöht die Wertschöpfung im ländlichen Raum.


Quellen und weitere Informationen


ernaehrungsberatung@dlr.rlp.de     www.Ernaehrungsberatung.rlp.de