Hähnchenbrust, Chicken Wings - und wer isst den Rest?

Stand: 01/30/2012
Hähnchenfleisch hat seit vielen Jahren an Beliebtheit gewonnen und besitzt das Image eines gesunden, leichten Produktes. Es passt zur kalorienbewussten Ernährung in modernen Haushalten.
Doch wird Geflügel in deutschen Küchen fast nur noch in Teilen verwendet: als Brust, Keule oder Flügel. Das ganze Hähnchen ist aus unseren Küchen fast verschwunden. Während 1993 noch 80% des Geflügelangebotes ganze gefrorene Hähnchen waren, hatten diese 2006 nur noch einen Anteil von 20%. Vom gesamten konsumierten Hähnchenfleisch waren 50% Hähnchenbrustfilets.

Für uns Verbraucher bringt das „moderne Huhn“ viele Vorteile: es ist bequem zu verarbeiten, gut zu portionieren, lecker, schnell zu servieren und meist billig zu haben. Ob gewürzt, mariniert, paniert oder mikrowellengeeignet, die Geflügelwirtschaft bietet für Singles, Familien und die Gemeinschaftsverpflegung eine breit gefächerte Produktpalette. Mit Fast Food wie Chicken Nuggets, Wings oder Hähnchenburgern kann jeder ein Essen auf den Tisch bringen, auch wenn praktische Kochkenntnisse fehlen.

Ein Trend mit Folgen! Haben Sie sich schon einmal gefragt, was eigentlich mit dem Rest der Hähnchen passiert?
Ein Teil wird zu Geflügelprodukten, wie Geflügelwurst oder Chicken Nuggets verarbeitet. Es werden immer wieder neue Artikel kreiert, in denen Formfleisch („Hähnchenfleisch, zerkleinert und zusammengefügt“) verwendet wird. Auch die Heimtierfutterindustrie ist ein Abnehmer.
Der andere Teil wird auf eine weite Reise geschickt und macht das Huhn zu einem Beispiel für die Auswüchse des globalen Marktes. Die Teile, die in Europa keinen Absatz finden, werden tiefgekühlt und weltweit verkauft. Ein Absatzmarkt sind die Länder Osteuropas. Viele Überschüsse und Reste landen aber auch in afrikanischen Ländern. In den 1990er Jahre kamen erstmals Containerschiffe mit Hühnerresten an die Küsten Afrikas. Ghana z. B. importiert jährlich schätzungsweise 90.000 Tonnen gefrorene Hühnerteile, davon 40.000 Tonnen aus Europa. Weitere große Lieferanten Ghanas sind Brasilien und Thailand, die mit ihren riesigen Hühnerfarmen sehr große Mengen von Hühnerfleisch produzieren, sowie die USA und China.


Die Folgen

Mangel an Hähnchen herrscht in den afrikanischen Ländern eigentlich nicht, aber fast überall werden sie traditionell nur lebend oder als ausgediente Legehennen angeboten. Die Hühnerteile aus den Industrienationen kommen zu Dumpingpreisen auf den Markt. Während ein afrikanisches Lebendhuhn ca. 2,30 Euro kostet, sind die importierten Hühnerteile schon für 1,20 Euro/kg zu haben, bestimmte Teile sogar schon für 40 Cent. Das hat die lokalen Märkte zusammenbrechen lassen. Der Verband der ghanaischen Geflügelbauern schätzt, dass 40 Prozent aller Hühnerfarmen schließen mussten. Auch Zulieferbetriebe wie Futtermühlen sind betroffen. Ebenso sind viele Wanderarbeiter arbeitslos geworden. Sie zogen früher beispielsweise nach der Gemüseernte im Norden des Landes auf die großen Märkte in der Hauptstadt Accra, um als Hähnchenschlachter, Rupfer oder Verkäufer zu arbeiten. Sie finden jetzt keine Arbeit mehr. Die importierten Hühnerteile haben viele afrikanische Familien in den Ruin getrieben.

Da es in den Entwicklungsländern kaum funktionierende Kühlketten gibt, bergen die tiefgefrorenen Hähnchen ein erhebliches Gesundheitsrisiko. Wenn das Fleisch über Tage immer wieder aufgetaut und eingefroren oder unter sengender Sonne dargeboten wird, erkranken die Menschen häufig an verdorbenem Fleisch. Gerade nach Wochenenden registrieren Krankenhäuser Lebensmittelvergiftungen, da bei Hochzeitsfeiern traditionell viel Huhn gegessen wird.
Eine Bürgerbewegung in Kamerun ließ im Jahr 2004 Stichproben an den Verkaufsständen nehmen. Bei 200 Proben waren circa 85 Prozent des importierten Fleisches nicht zum menschlichen Verzehr geeignet Der Mikrobenbesatz lag bis zu 180fach über den EU-Höchstwerten. Daraufhin verbot Kamerun den Import von Tiefkühlhähnchen.
In Ghana geht der Verkauf weiter. Das Land kann und will offenbar nicht gegen die Regeln des freien Welthandels verstoßen, weil sonst schnell finanzielle Unterstützungen und Kredite von Geberländern auf dem Spiel stehen.

Entwicklungsorganisationen finden die Praxis der Hühnerexporte aus den Industriestaaten skandalös. Jahrelange Aufbauarbeit von kleinbäuerlicher Geflügelhaltung zur Armutsbekämpfung sei so vernichtet worden. Auch würde durch solche Lebensmittelexporte die Basis für die Grundversorgung in den ärmeren Ländern zerstört. Geflügelfleischexporte seien dafür nur ein Beispiel.


Kann man etwas tun?

Aufgeklärte Konsumenten können eine Gegenmacht ausüben. Auch wenn die Ansätze noch so klein sind, können Verbraucher Einfluss nehmen. Ihr Verhalten bei Lebensmittelskandalen, Gammelfleisch oder EHEC belegt das. Es lohnt sich also, auch über „das globale Huhn“ nachzudenken und Konsequenzen daraus zu ziehen.

Wer Hähnchenfleisch bewusst konsumiert, erkennt schnell einige Handlungsmöglichkeiten. Zum Beispiel kann man auf die artgerechte Haltung und ortsnahe Herkunft des Geflügelfleisches achten. Die Franzosen machen es vor. Bei ihnen stehen „Alternativhähnchen“ aus regionalen Markenfleischprogrammen wie „Lable rouge“ hoch im Kurs. Sie haben bereits einen Marktanteil von 34%, obwohl das Kilo durchschnittlich 6,00 Euro kostet.

Wenn man auf Geflügel-Teilstücke verzichtet, vermeidet man das Entstehen von Resten. Wie wäre es, wieder einmal ein ganzes Huhn in den Backofen zu schieben und es beim gemeinsamen Essen mit der Familie zu servieren? Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, ganze Hähnchen oder ein Suppenhuhn kulinarisch zu verwenden. Kochbücher und das Internet bieten viele Rezepte, auch für Ungeübte.

In „Max und Moritz“ von Wilhelm Busch heißt es bei der Witwe Bolte, dass das liebe Federvieh den Vorteil hat, „dass man dann und wann einen Braten essen kann“. Wer „das Ganze“ im Auge hat und insgesamt seinen Fleischverzehr reduziert und an die Empfehlung der Ernährungswissenschaftler anpasst, tut nicht nur etwas Gutes für seine Gesundheit. Ein verantwortungsbewusster Konsum ist ein Beitrag zu internationaler Gerechtigkeit und zum Abbau von Armut in Entwicklungsländern.

Der Welt-Geflügelmarkt kann sicher nicht schlagartig geändert werden, aber diese Maßnahmen sind ein Weg in Richtung einer nachhaltigen globalen Entwicklung.


Quellen
  • Francisco Mari, Rudolf Bunzel: Das globale Huhn, Brandes & Apsel, März 2007
  • Evangelischer Entwicklungsdienst e.V. (EED) (Hrsg.): Keine chicken schicken (pdf), im Internet unter eed.de (Zurgiff 30.1.2012)
  • ARD (Hrsg.): Ein Huhn geht um die Welt, in: „W wie Wissen“, Sendung vom 24.10.2010, im Internet unter daserste.de (Zugriff: 24.01.2012)


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