Schwierige Esser am Familientisch

Stand: 12/02/2013
„Ich esse meine Suppe nicht! Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!“ – das kommt vielen Eltern bekannt vor. Mit dem „Suppenkaspar“ hatte der Kinder- und Nervenarzt Heinrich Hoffmann schon 1844 in seinem „Struwwelpeter“ die Sorge und den Verdruss thematisiert, den auch heute noch Eltern beschleicht, wenn es ihnen nicht gelingt, ihre Kinder so zu ernähren, wie sie sich gesunde Ernährung vorstellen.

Die wohlmeinenden Diskussionen am Familientisch münden schlimmstenfalls in kleine Machtspielchen; dann wird der Essplatz zum Stressplatz.
Eine Portion Gelassenheit seitens der Eltern ist dann oft umso wirkungsvoller. Schließlich gilt es, die sogenannten schwierigen Esser in ihrer Essentwicklung positiv zu unterstützen und dazu braucht es ein gutes Ess- und Lernklima.

Spezielle Esser sind eine Frage des Esstyps. Erst durch wenig einfühlsame und dem Typ nicht gerecht werdende Erziehungsversuche kann sich ein Kind zum schwierigen Esser entwickeln.

Es ist zum Beispiel genetisch festgelegt, ob ein Kind mit nur ganz kleinen Mengen auskommt oder ein schlechter Futterverwerter und Vielesser ist. Demnach sollte man einen „pickenden Spatz“ nicht unbedingt zum Mehressen nötigen; genauso wenig wie man einen „Nimmersatt" ständig bremsen sollte. So lange keine Entwicklungs- und Gedeihstörungen erkennbar sind und das Körpergewicht im Rahmen bleibt, besteht kein Grund zur Sorge. Auch ein Entwicklungsschub kann sich in einer vorübergehenden Appetitlosigkeit oder in übermäßigem „Kohldampf“ äußern, beides sollte nicht gleich überbewertet werden.

Esstypen mit ihren spezifischen Vorlieben und Abneigungen werden wie folgt unterschieden in:
  • den extrem langsam und wenig essenden „Wie-ein-Spatz-Esser“
  • den „Vielesser“ mit Neigung zu Übergewicht
  • den „übervorsichtigen Esser“, der alles Neue ablehnt
  • den „Gemüse-“ oder „Obstmuffel“, der kein „Grünzeug“ mag
  • den „Trennköstler“, der alle Lebensmittel einzeln, ohne gegenseitige Berührung kosten möchte


Arrangements mit den verschiedenen Esstypen

Der Wie-ein-Spatz-Esser
Für den Wie-ein-Spatz-Esser sind geregelte Mahlzeiten wichtig. Es sollten keine Süßigkeiten oder Snacks zwischendurch angeboten werden, so dass der geringe Appetit durch nährstoffgebende Grundnahrungsmittel gesättigt werden kann.
Je größer die Tischgemeinschaft, desto besser schmeckt´s. Ein guter Esser als Tischnachbar kann kleinere Kinder zum Nacheifern animieren.
Auch das Auge isst mit. Schönes, dekoratives Anrichten oder bunte Gemüsefarben steigern den Appetit.
Planen Sie ausreichend Zeit für die Mahlzeiten ein, damit auch für langsame Esser keine Hektik aufkommt.

Der Vielesser
Vielesser nehmen das Essen manchmal nicht aus Hunger ein, sondern als Lieblingsbeschäftigung. Hier sollten möglichst keine verführerischen Snacks zum Zugreifen - auch kein Obstteller - neben den regulären Mahlzeiten verlocken. Vorzeitigen Hungergefühlen zwischen den Mahlzeiten kann man durch das regelmäßige Anbieten kalorienfreier Getränke wie ungesüßte Tees oder Wasser halbwegs vorbeugen. Vollkornbrot oder Rohkost erfordern gutes Kauen. Ein schnelles Hinunterschlingen der Mahlzeiten ist dabei schier unmöglich, so dass das Sättigungsgefühl auch zeitnah einsetzt.
Die Vielesser können während der Mahlzeiten kleine Aufgaben übernehmen: Wenn sie bereits selbständig Brote schmieren können, dürfen sie - mit viel Lob - jüngeren Kindern beim Brote-Schmieren helfen, sie dürfen Schüsseln anreichen oder werden gezielt in Gespräche eingebunden.
Einen Essensnachschlag gibt es erst, wenn auch die anderen Tischgäste ihre erste Portion verzehrt haben.
Zwischen den Mahlzeiten sollte für den „Lustesser“ keine Langeweile aufkommen. Ein Heranführen an sportliche Aktivitäten, entspannendes Lesen am Abend oder sonstige Freizeit gestaltende Hobbys und Interessensvertiefungen lenken vom allgegenwärtigen Kühlschrank ab.

Der übervorsichtige Esser
Der Übervorsichtige, der Neophob, lehnt alle neuen, ihm unbekannten Lebensmittel zunächst einmal kategorisch ab. Was er schon kennt, wird allerdings problemlos verzehrt. Ein großer Fehler wäre es, sich schon im frühen Alter mit der beschränkten Lebensmittelauswahl des Kindes zufrieden zu geben und demgemäß immer „nach dem Munde“ zu kochen. Besser ist es, den Level an Geschmackskenntnissen durch stete Angebote immer weiter zu erhöhen.
Meist helfen klare Essregeln, wie z.B. „alles muss probiert werden“. Wenn sich auch die Eltern daran halten, werden solche Regeln auch von den Kindern akzeptiert und eingehalten. Dabei kann das Kind das Probierte wieder aus dem Mund nehmen, wenn es ihm überhaupt nicht schmecken sollte. Was zählt ist hier der Geschmackseindruck. Durch stete Wiederholungen führt er in der Regel zur Gewöhnung und zur Akzeptanz. Hier sollte man nicht vorzeitig aufgeben. Wenn der ungeliebte Lauch mal in der Suppe, mal im Auflauf und mal im Wok-Gericht auftritt, ist der Geschmackseindruck von Lauch jedes Mal etwas anders und wird trotzdem immer vertrauter. Oft muss ein Lebensmittel sieben bis achtmal, manchmal sogar häufiger, gekostet werden, bevor es sicher akzeptiert wird. Lebensmittel, die bei dem Kind starke Aversionen auslösen, sollten von der Probierregel jedoch ausgenommen werden.
Man kann einem Kleinkind die Lernphase erleichtern, in dem man bei den Mahlzeiten immer nur eine Neuheit neben dem Vertrauten anbietet. Je kleiner die Kinder sind, desto eher lernen sie das Probieren vor allem von Vorbildern. Wenn die Bezugsperson auch alles neugierig testet und vom Geschmack begeistert ist, wird ein argwöhnischer kleiner Esser mit der Zeit auch immer mutiger.
Notorische Verweigerer lassen sich manchmal auch durch kleine Anreize locken. So lockt vielleicht ein Stempelheftchen oder ein Zertifikat für zehn neu probierte Lebensmittel oder es gibt Ansporn, das probierte Mittagessen mit Sternen wie ein Restaurant-Tester bewerten zu dürfen. Anreiz kann aber auch einfach das lobende Wort sein, für den Mut des Probierens.

Der Gemüse- und Obstmuffel
Beim Gemüse- und Obstmuffel ist das Problem zunächst ganz ähnlich gelagert wie beim Übervorsichtigen. Durch stetes Probieren sollte das Kind die Bandbreite der Gemüse- und Obstvielfalt in erster Linie einmal kennenlernen. Dennoch bleiben Kinder dieses Esstyps tendenziell auffallend ablehnend gegenüber Frischkost.
Hier sollte man sich besondere Mühe beim Anrichten machen. Mundgerechte Stücke sind oft beliebter als der Biss in ein ganzes Obst oder Gemüse. Je kleiner die Kinder, desto eher kann man sie durch die Optik animieren. Wenn das Obst und Gemüse in der Lieblingsfarbe „rot“ oder „grün“ ausgewählt ist oder die Frischkost vielleicht als Figur angerichtet ist, kann das für einen Gemüse-/ Obstmuffel schon Verlockung genug sein, zuzugreifen.
Vielleicht spricht beim Kleinkind aber auch ein ganz banaler Grund gegen Rohkost, zum Beispiel ein noch sehr empfindlicher Mundbereich oder es kommen gerade Zähne bzw. es sind noch nicht genug Zähne da, Blattsalate kleben am Gaumen, weil sie nicht klein genug zerpflückt sind usw. Hier muss die Angebotsform dem Alter entsprechend angepasst sein: Obst wird eventuell geschält, als Mus oder als Fruchtmilch angeboten. Der Gemüsekonsum wird überwiegend in Form von Suppen oder Soßen abgedeckt.
Mit zunehmendem Alter eröffnen sich weitere Möglichkeiten, ungeliebte Gemüse unterzubringen. Auf der geliebten Pizza, im Wrap oder im Döner werden Gemüserationen oft geduldet. Auch das Mitwirken in der Küche, das Schnippeln, Kochen, Salat vermengen kann Kinder begeistern und mit Stolz erfüllen und somit einen neuen Zugang zu bisher verschmähten Lebensmitteln schaffen.

Der Trennköstler
Der Trennköstler isst im Prinzip alles, nur mag er keine „Melange“. Hier stellt sich eigentlich gar nicht das Problem einer eventuell unausgewogenen Ernährung, sondern nur die Besonderheit des Anrichtens. Ein Trennköstler mag die Nudel zwar mit Soße, aber getrennt angerichtet, er isst Brot oder Brötchen ohne Belag und lehnt Eintöpfe, Aufläufe und Obstsalat ab.
Diese kindliche, temporäre Phase sollte man eine Zeitlang einfach und unaufgeregt zulassen, um das Kind in seinen eigenständigen Geschmackserfahrungen nicht zu irritieren und um seinen Genuss am Essen nicht zu gefährden. Gerade bei Brot- und Zwischenmahlzeiten und auch in der Pausenbrotbox für die Kita lassen sich die Einzelkomponenten leicht trennen wie zum Beispiel trockenes Brot und Käsewürfel, Kuchen ohne Obstbelag, aber mit Obst als Beigabe usw.
Nach und nach kann das Kind an die normale gemischte Kost herangeführt werden oder es entwickelt sich selbst dahin, indem es die Soße selbst zu den Nudeln gibt, in dem es sich selbst den Salat mischt und indem es eventuell auch bei der Zubereitung von Aufläufen, Gratins und Suppen mithilft, die es dann nachher am Tisch zu essen gibt.
Von allen vorgestellten Esstypen ist die Eigenart des Trennköstlers die geringste Knacknuss.


Fazit:

Es fällt nicht immer leicht, an einem entspannten Essklima festzuhalten, wenn ein Kind gerade Grenzen austestet und sich trotz liebevoller Essenszubereitung als Totalverweigerer gebärdet. Solchen temporären Verhaltensweisen sollte nicht zu viel Aufmerksamkeit geschenkt werden, um die Essatmosphäre nicht zu vergiften. Spaß und Genuss am Essen sollten keinesfalls verleidet werden.

Sollte ein Kind im Rahmen seiner Trotzphase auch mal nicht wenigstens eine Kleinigkeit probieren wollen, kann man durchaus darauf vertrauen, dass es nicht von sich aus verhungert. Wenn ein Kind einmal eine Mahlzeit überspringt, kann es sehr überzeugend sein, wenn es als Konsequenz lernt, wie unangenehm ein Hungergefühl ist und wie sinnvoll es ist, die Essensgelegenheit bei den Mahlzeiten zu nutzen. Kleine Ersatzmahlzeiten zur eigenen Beruhigung der Eltern wirken dagegen absolut kontraproduktiv.

Oft hilft es einem Erwachsenen, sich seine eigene Essbiographie in Erinnerung zu rufen. Die Tatsache, dass man vielleicht als Kind auch keinen Käse, keinen Kohl oder keine Innereien gemocht hatte, die man heute eventuell liebt, zeigt, dass man der Essentwicklung einfach auch genügend Zeit zugestehen muss. So ist auch selbst der bittere Kaffee zu einem beliebten Erwachsenengetränk avanciert.


Quellen und weiterführende Informationen
  • aid-Infodienst, BeKi Baden Württemberg (Hrsg.): Essen lernen in Kita und Tagespflege, Heft 3304/ 2012
  • Gabi Eugster: Kinderernährung gesund & richtig, Essen am Familientisch genießen, Elsevier Urban & Fischer-Verlag, München 2007


Annette.Conrad@dlr.rlp.de     www.fze.rlp.de/ernaehrungsberatung