Regionalfenster – Ein Siegel für echte Regionalität?

Stand: 07/03/2017
Regional boomt - die Herkunft von Lebensmitteln aus der Region gewinnt für immer mehr Verbraucher an Bedeutung. Regionalität steht für Nachhaltigkeit durch Bezugsnähe und für Vertrauen in die Qualität durch Transparenz. Aber kommt das Produkt tatsächlich „aus der Heimat“ und woran erkennt man das?
Im Januar 2014 wurde das bundesweit einheitliche „Regionalfenster" eingeführt. Darüber können sich Verbraucher informieren, aus welcher Region die Lebensmittel, Blumen oder Zierpflanzen kommen. Doch es gibt auch Kritik an diesem Label.


Entstehungsgeschichte

In allen Regionen Deutschlands wurden in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Initiativen gegründet, um regionale Vermarktungsstrukturen zu erhalten oder wiederzubeleben und die heimischen Erzeugungs- und Verarbeitungsbetriebe zu stärken, aber auch, um dem wachsenden Wunsch der Verbraucher nach Qualität und gesicherter regionaler Herkunft der Produkte mit einem glaubwürdigen Richtlinien- und Kontrollsystem zu entsprechen.

Es gibt keine gesetzlichen Vorgaben, die die Begriffe „Region“, „regional“ oder „regionales Produkt“ definieren. Die Folge davon ist ein undurchschaubarer Markt von ehrlichen, glaubwürdigen Regionalprodukten bis hin zu „Mogelpackungen“, die nur Regionalität suggerieren. Und zahlreiche Zeichen konkurrieren um die Gunst der Verbraucher.

Im Auftrag des früheren Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz erarbeiteten die Marketinggesellschaft „Gutes aus Hessen“ (MGH) und das Forschungsinstitut für biologischen Landbau e.V. (FiBL) Ende 2011 bis Anfang 2012 zusammen ein Gutachten zur „Entwicklung von Kriterien für ein bundesweites „Regionalsiegel". Dieses Gutachten veranlasste nach einer Testphase die bundesweite Einführung des „Regionalfensters", eines Deklarationsfeldes auf der Verpackung, das Auskunft gibt über die Herkunft der Produkte und den Verarbeitungsort.
Im August 2012 wurde der Trägerverein „Regionalfenster e.V." gegründet. Die Mitglieder kommen aus den Bereichen Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung, dem Ökologischen Landbau, dem Handwerk, dem Lebensmittelhandel, dem Lebensmittelmarketing, der Qualitätssicherung und natürlich auch aus dem Bereich der Regionalinitiativen und decken somit einen großen Bereich der Wertschöpfungskette ab. Ein Beirat, bestehend aus Personen aus den Bereichen Wissenschaft, Ministerien und Verbraucherschutz begleitet beratend die Weiterentwicklung des Regionalfensters.

Fünf Jahre später (Stand: April 2017) hat der Trägerverein bereits nach eigenen Angaben Verträge mit über 740 Lizenznehmern abgeschlossen. Über 4000 Produkte, vorzugsweise Obst und Gemüse, sind mit Regionalfenstern gekennzeichneten. Einige Lebensmittel, wie Kartoffeln, sind sogar bundesweit mit diesem Kennzeichen verfügbar.


Auszüge aus dem Kriterienkatalog des Trägervereins

„Das Regionalfenster beinhaltet ausschließlich die Angaben zur Herkunft der eingesetzten Zutaten aus landwirtschaftlicher Erzeugung sowie dem Ort der Verarbeitung“. Optional wird auch über Vorstufen der landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Saatgut, Jungtiere oder Futtermittel informiert. „Aussagen zur Art der Erzeugung (z.B. fair, nachhaltig, ökologisch, ohne Gentechnik, tiergerecht) sind im Regionalfenster nicht zugelassen“, um eine Überfrachtung des Kontrollsystems zu vermeiden. Die Regionalität soll bewusst einzig im Vordergrund stehen.

„Die Region muss für den Rohwarenbezug eindeutig und nachprüfbar benannt werden (z.B. Landkreis, Bundesland oder Angabe eines Radius in Kilometern) und kleiner als die Bundesrepublik Deutschland sein. Sie kann Staats- oder Ländergrenzen überschreiten (z.B. Getreide aus der Eifel oder 100 Kilometer um Aachen)“. Durch solche konkreten Ortsangaben kann der Verbraucher selbst entscheiden, ob er beim Einkauf die Warenherkunft noch als ausreichend „regional“ definiert.

Quelle: Regionalfenster e.V., nach BMEL
Bei aus mehreren Lebensmitteln zusammengesetzten Produkten wie Wurstwaren, Milcherzeugnisse oder Brotaufstrichen müssen „die Hauptzutat und die wertgebenden Zutaten zu 100 % aus dieser definierten Region stammen. Beträgt das Gewicht der ersten Hauptzutat weniger als 50 % des Produktgesamtgewichts, so müssen auch die weiteren Zutaten jeweils zu 100 % aus der definierten Region stammen, bis mindestens 51 % des Gesamtgewichtes erreicht sind“. In solchen Fällen werden regionale Zutaten auf dem Label immer in Prozentzahlen angegeben. Auch der Ort der Verarbeitung muss im Regionalfenster benannt werden.
Quelle: Regionalfenster e.V.

Weitere Beispiele zu den Kriterien
  • „Erdbeer-Fruchtaufstrich (75 % Erdbeeren): 100 % der Erdbeeren müssen aus der definierten Region stammen.
  • Schinkenwurst (47 % Schweinefleisch, 45 % Rindfleisch): 100 % des Schweinefleischs muss aus der definierten Region stammen, da diese Zutat weniger als 50 % des Produktgesamtgewichts beträgt, muss auch das Rindfleisch zu 100 % aus der definierten Region stammen.
  • Weizenvollkornbrötchen (90 % Weizenvollkornmehl): 100 % des Weizens muss aus der definierten Region stammen.“
  • Müslimischung: (51 % Haferflocken, 25 % Cornflakes, 9 % Sonnenblumenkerne, 7 % Sultaninen, 7 % Zucker). Nur die Haferflocken kommen in diesem Beispiel zu 100 % aus der Region. Im Deklarationsfeld muss dann der Hinweis stehen: „Anteil regionaler Rohstoffe am Gesamtprodukt = 51%“

Das Siegel beruht auf einem Qualitätssicherungssystem mit nachvollziehbarer Dokumentationspflicht und einem dreistufigen neutralen Prüf- und Sicherungssystem. Im Regionalfenster muss angegeben werden, welches beauftragte Zertifizierungsunternehmen den Lizenznehmer überprüft hat.


Chancen und Kritik

Das Regionalfenster ist erstmals ein bundesweit einheitliches Zeichen und sorgt für mehr Klarheit beim Einkauf. Die Kennzeichnung ist allerdings freiwillig. Damit wird irritierenden Herkunftsangaben und Werbeaussagen noch kein Riegel vorgeschoben.
Auch die Tatsache, dass es, wie im Beispiel der Müslimischung gezeigt, bei einem zusammengesetzten Produkt ausreicht, wenn nur 51 Prozent der Zutaten regionaler Herkunft sind, gibt Anlass zur Kritik. Zwar wird der Gesamtanteil der Regionalität angegeben, Kritiker befürchten jedoch eine Inflationierung des Regionalbegriffs.
Zudem wurde von der rheinland-pfälzischen Ernährungsministerin Ulrike Höfken bereits bei der Einführung des Labels bemängelt, dass das Kontrollsystem für das Regionalfenster für Direktvermarkter und Regionalmarken gegebenenfalls zu aufwendig sei und dass somit das Label faktisch nur der Ernährungsindustrie und dem großflächigen Lebensmitteleinzelhandel von Nutzen sei.

Die Verbraucherzentrale Niedersachsen führte 2016 einen Markcheck über „Regionalangaben bei Lebensmitteln“ durch. Das Ziel der Markterhebung war insbesondere, zu ermitteln, welche Verbreitung und Bedeutung das Regionalfenster in Deutschland bis dato errungen hatte.
Die Auswertung war zum Teil ernüchternd. Lebensmittel mit Regionalfenstern waren im Süden weit stärker vertreten als im Norden der Bundesrepublik. Das Ziel der flächendeckenden Ausbreitung war somit nicht zufriedenstellend erreicht. Auch im Hinblick auf das Warensortiment war die Verbreitung des Regionalfensters mehr oder minder eingeschränkt. Zum Zeitpunkt des Marktchecks gab es nur in vier Bundesländern Eier mit dieser Deklaration und nur in Baden-Württemberg entsprechend gekennzeichnete Milchprodukte. Eine weitaus größere Angebotsbreite gab es hingegen bei Fleisch- und Wurstwaren und insbesondere bei Gemüse und Obst .

Ein weiteres Kriterium dieser Studie waren die Entfernungen vom Einkaufsort zum Abpack- oder Verarbeitungsbetrieb und falls ersichtlich auch zum Ort der Rohstoff-Erzeugung. Hier wurde der Regionalitätsbegriff zum Teil sehr weit gefasst. Verschiedene Produkte wurden tatsächlich im Radius von beispielsweise 20 oder 60 Kilometern um die Einkaufsstätte erzeugt. Es ergaben sich aber auch Entfernungen von bis zu 475 Kilometern, so im Falle von pfälzischen Kirschen, die im niedersächsischen Oldenburg mit Regionalfenstern erhältlich waren. Große Distanzen waren teilweise auch zurückgelegt worden, wenn Rohstoffe aus dem Umfeld der Einkaufsstätte zur Verarbeitung in andere Bundesländer und wieder zurück transportiert wurden. Die Kennzeichnungen an sich waren in allen Fällen richtig. Hier ist der Verbraucher gefordert, die Angaben im Deklarationsfeld kritisch zu lesen und hinsichtlich seines Begriffes von Regionalität zu bewerten.

Denn im Gegensatz zu manch anderen Regionalwerbungen, in denen Heimat- oder Regionalbegriffe oft unspezifisch oder sogar irreführend verwendet werden, gibt das Regionalfenster zumindest die Ursprungsregion des Hauptproduktes, die Zahl der Bundesländer oder Gebiete, in denen das Ausgangsprodukt verarbeitet wurde sowie den Anteil der regionalen Zutaten deutlich an.
Aus Sicht der Verbraucherzentralen sind die Herkunftsregionen oft zu weit gefasst. Vor allem bei Fleisch- und Wurstwaren wurden des Öfteren mehrere Bundesländer als Herkunftsland angegeben, zum Beispiel Putenfleisch aus Bayern und Baden-Württemberg oder Rostbratwürste mit Schweinfleisch aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.

Als Mitglied des Beirats für verbraucherfreundliche Lösungen haben die Verbraucherzentralen aber auch die Chance, gemäß den Erkenntnissen aus dem Marktcheck das Regionalfenster diesbezüglich weiterzuentwickeln und zu korrigieren.


Quellen und weiterführende Informationen


Annette.Conrad@dlr.rlp.de     www.Ernaehrungsberatung.rlp.de